16
Erinnerungen und Lügen sind schmerzhaft. Aber meine Erinnerungen sind keine Lügen.
Bronso von Ix, Transkript eines Interviews in der Todeszelle
Auf den vielschichtigen Decks des Heighliners mit öffentlichen Bereichen und Wartungskorridoren fanden die Waykus immer ein Versteck für Bronso. Das nomadisch lebende Volk, das auf den Gildenschiffen als Bordpersonal diente, verspürte offensichtlich eine starke Affinität zu ihm und hatte ihm immer wieder heimlich geholfen, seit Bronso seinen ungewöhnlichen Feldzug gestartet hatte, der die Zerstörung des Mythos um Paul Atreides zum Ziel hatte.
Bronso wechselte täglich seinen Aufenthaltsort und bezog vorübergehendes Quartier in unbesetzten Luxussuiten oder winzigen Kabinen. Stets misstrauisch und auf der Hut, beschränkte er seinen Energieverbrauch auf ein Minimum, damit die Wachhunde der Gilde nichts Außergewöhnliches bemerkten. Er war jetzt seit sieben Jahren auf der Flucht, seit er damit begonnen hatte, seine Schriften unters Volk zu bringen.
Manchmal nutzte er den Luxus gut ausgestatteter Suiten aus, die ihn an seine Tage als Erbe des Hauses Vernius im Großen Palais von Ix erinnerten. Trotzdem bereute Bronso es keinen Augenblick, den Reichtum und die Annehmlichkeiten verloren zu haben. Er hatte freiwillig darauf verzichtet, um einer wichtigeren Bestimmung zu folgen. Der Rat der Technokraten hatte alles korrumpiert, was gut und edel an seiner Heimatwelt gewesen war. Jetzt leistete Bronso lebenswichtige Arbeit ... historisch bedeutsame Arbeit.
In den Unruhen, die nach dem Tod Muad'dibs weiterhin die unsicheren Welten erschütterten, waren die meisten Gildenschiffe überbucht, und wohlhabende Aristokraten rissen sich um die verfügbaren Kabinen. Auf seiner derzeitigen Passage hatte Ennzyn – einer von Bronsos Verbündeten unter den Waykus – ihn in eine winzige Besatzungskabine gesteckt, die in keinem Verzeichnis aufgelistet war.
Er beklagte sich nicht, da seine Bedürfnisse bescheiden waren. Er brauchte nur Licht und einen ruhigen Sitzplatz, während er an seinen jüngsten Schmähschriften arbeitete. Sein Kampf gegen den Fanatismus, der Pauls Vermächtnis beschmutzte, schien ein unmögliches Unterfangen zu sein, aber er hatte ihn zu seiner Aufgabe gemacht. Er war der einzige Mensch, der tapfer genug war, um Muad'dib so offen zu kritisieren. Bronso mochte waghalsig sein, aber er war noch nie ein Feigling gewesen.
Seine Freunde unter den Waykus schützten, deckten und unterstützten ihn. Die umherziehenden, dienstbeflissenen Arbeiter traten bescheiden und unauffällig auf und besaßen eigentlich gar keine richtige Identität als Bürger des Imperiums. Als er und der junge Paul Atreides ihnen vor neunzehn Jahren zum ersten Mal begegnet waren, hatte Bronso nie damit gerechnet, sie einst als so treue Verbündete gewinnen zu können. Nun schmuggelten sie seine »ketzerischen« Traktate still und heimlich in das Gepäck zufällig ausgewählter Reisender, damit die Publikationen auf verschiedenen Planeten auftauchten, ohne dass es einen Hinweis auf ihre Herkunft gab.
Das Volk musste die Wahrheit erfahren und brauchte eine skeptische Stimme als Gegengewicht zu dem Unsinn, den Irulan als Leben des Muad'dib niedergeschrieben hatte. Ihm war die Aufgabe zugefallen, das Pendel in die andere Richtung schwingen zu lassen. Zu diesem Zweck musste er seine Worte auf Papier bannen. Seine Aussagen mussten provozierend, unwiderlegbar und plausibel sein.
Während des blutigen Djihads und Alias jüngster Maßnahmen hatten die Menschen die Unterdrückung akzeptiert, weil Paul zugelassen hatte, dass seine Fremen-Bürokratie zu einem hungrigen Krebsgeschwulst wurde. Bronso war sich bewusst, dass Paul gelegentliche Versuche unternommen hatte, die Exzesse zu zügeln, aber der Krieg und der Fanatismus hatten ein Eigenleben entwickelt, genauso wie die Mythen, die Paul umgaben.
Erschöpfte und verängstigte Menschen vergaßen so schnell die Wahrheit. Pauls Apologeten schrieben die Geschichte um und löschten die schlimmsten Ereignisse aus den offiziellen Dokumenten: die schrecklichen Schlachten, die Sterilisierung ganzer Planeten, den Massenmord an den Mönchen im Kloster von Lankiveil. Wer konnte noch die »offiziell« verbreitete Historie leugnen, nachdem es zu so vielen Entbehrungen und Vertreibungen gekommen war? Wer würde eine so unanfechtbare Quelle wie Prinzessin Irulan höchstpersönlich, die Gattin des Muad'dib, in Frage stellen? Ihre Berichte konnten doch nur die wahre Version der historischen Ereignisse sein!
Aber so war es nicht, und Bronso musste sich weiter bemühen, die Geschichtsschreibung zu korrigieren. Es war eine Frage der Ehre, und er hatte sein Wort gegeben.
Sein Wayku-Gefährte hatte ihm etwas zu essen gebracht, aber Bronso war nicht hungrig. In seiner engen Kabine setzte er sich auf die unbequeme Metallbank, hob die Schreibunterlage auf und tauchte in seine Erinnerungen ein. Im Schein eines gedimmten Leuchtglobus legte er Muad'dib ein Verbrechen nach dem anderen zur Last. Jede Zeile, die den Mann verdammte, war wie ein lauter Peitschenknall.
Nur wenn er die besänftigende Unwahrheit entfernte, nur wenn er die herzlosen Taten bloßlegte, die im Namen Muad'dibs begangen wurden, nur wenn er dem Volk die entsetzlichen Verbrechen bewusst machte, die Paul entfesselt hatte, konnte Bronso die Zukunft der Menschheit retten.
Möge Gott uns vor einem Messias bewahren, den wir selber erschaffen haben!
Die Bilder dieser Ereignisse schrien hinter seinen Augen, während er schrieb. »Ach, Paul, mein Freund ...« Als er weiterschrieb, flossen ihm Tränen über das Gesicht.